(Nicht erschienen: im vorwärts-Sonderteil 10/01; weitere dort herausgekürzte Texte folgen)
„Vorwärts“ wollten viele schon früh
„Daß die schwarze Fahne des Stillstandes und des Rückschrittes wieder siegreich über ganz Deutschland weht, das ist wohl auch dem Blödesten nicht mehr zweifelhaft, wenn er sehen will.“ Ein zorniger junger Mann namens Robert Blum schrieb und veröffentlichte dies 1847 … im „Vorwärts!“.
Komplett mit Ausrufezeichen war das der Titel eines „Volkstaschenbuches“, welches Blum in den 1840er Jahren in Leipzig herausbrachte. Publikationen mit dem richtungweisenden Titel „Vorwärts!“, einzeln oder als Reihe, gab es in jenen Vormärz-Jahren noch weitere – kein Wunder in einer Zeit, in der aufgeklärten Menschen alles in Deutschland rückwärts zu gehen schien.
Berühmter als Blums Volkstaschenbuch war, zumindest aus späterer Sicht, ein anderer „Vorwärts!“ aus derselben Zeit, der aber (schon) im Exil erschien. „Pariser Signale aus Kunst, Wissenschaft, Theater, Musik und geselligem Leben“ wollte der Herausgeber Heinrich Börnstein in den Jahren 1844/45 nach Deutschland senden. So illustre und verschiedenartige Autoren wie Heinrich Heine, Karl Marx und Friedrich Engels gehörten – zumindest nominell – zu seinem ständigen Mitarbeiterkreis.
„Unser Programm, unsere Tendenz, unser Entstehen liegen in dem Titel des Blattes“, hieß es im November 1843 im Editorial der ersten Ausgabe, „in dem einzigen bedeutungsschweren Worte: ´Vorwärts!´. ´Vorwärts!´ ist die Losung unserer Zeit.“ Bekenntnis: „Unser Blatt wird frei, selbständig und unparteiisch schreiben und urtheilen.“
Danach strebte auch Robert Blum: „Wir wünschen, daß unser Werkchen es werth sey, in der Tasche des Bürgers, des Handwerkers, des Arbeiters, des eigentlichen Volkes zu stecken; werth, daß er es heraushole in stiller Feierstunde und durchblättere mit seiner rauhen, schwielenbedeckten Hand.“
Marx und Heine
Natürlich hatten beide Blätter auch mit den Tücken der Zensur zu kämpfen; so wurde der 2. Jahrgang des Volkstaschenbuches gleich nach Erscheinen verboten. Blum, ein aufrechter Liberaler und Verfassungspatriot, war 1848 Führer der demokratischen Linken in der Frankfurter Nationalversammlung und wurde nach der Niederlage im November in Wien hingerichtet.
Den Herausgebern und Autoren des Pariser „Vorwärts!“ blieb dies Schicksal erspart, zumal das Barrikadenkämpfen ihre Sache nicht war, doch das Verbot traf alsbald auch ihr Blatt. Frei von Illustrationen, ganz Text, ganz Kampf für die Preß- und überhaupt Freiheit, wartete es mit bleibenden Highlights auf. „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“ äußerte sich Marx, und „Bruchstücke aus Deutschland, ein Wintermärchen“, Heinrich Heines berühmtestes Spätwerk, ist im Oktober 1844 zeitgleich mit der Erstveröffentlichung bei Hoffmann & Campe auch im Pariser „Vorwärts!“ erschienen.
Es sollte bis 1876 dauern, bis der heutige vorwärts – damals aber noch mit großem „V“ – als Central-Organ der Sozialdemokratie Deutschlands das Licht der Welt erblickte. Gegen Stillstand, Rückschritt und Zensur zu kämpfen, blieb die dauerhafte Aufgabe.
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