von J.R.Prüß
(Quelle: vorwärts 6/99)
Wer mehr Klimaschutz und weniger Kernkraft gleichzeitig erreichen will, muss faire Marktchancen für die erneuerbaren Energien schaffen. Dazu muss auch das EU-Recht verbessert werden.
Wozu Kraftwerke?“, war die rhetorische Frage eines lange Zeit beliebten Autoaufklebers; es folgte der Hinweis: „Bei uns kommt der Strom aus der Steckdose.“Wogegen sich die Ironie genau richtete, blieb vage. Erst jetzt, da im zunehmend deregulierten Europa immer mehr Steckdosenbesitzer selbst entscheiden können, bei wem sie ihren Strom kaufen wollen, bekommt der Aufkleber richtig Sinn: Wozu Kraftwerke (bei uns), wenn doch anderswo der Strom billiger und/oder umweltfreundlicher erzeugt werden kann?
Nach der Zielsetzung der Europäischen Union soll der Anteil der „erneuerbaren Energien“ bis 2010 auf 12 Prozent verdoppelt werden. Von daher muss die Frage vor allem diejenigen beschäftigen, denen der schrittweise Umstieg auf eine solare Energiebasis – Stromerzeugung aus Fotovoltaik, Solarthermie, Wind- und Wasserkraft, Biomasse, nachwachsenden Rohstoffen – ein Anliegen ist. Oder der Atomausstieg als solcher: „Ersatzkäufe auf dem liberalisierten Strommarkt“ könnten eine Stillegung der deutschen AKW Stade und Obrigheim nicht nur kompensieren, sondern würden obendrein den Versorgungsunternehmen wie auch ihren Stromkunden noch Kosten ersparen, hieß es jüngst in einem von den BündnisGrünen gelobten Gutachten. So billig sei der Importstrom zu veranschlagen, dass die Kilowattstunde den Endverbraucher mehr als zwei Pfennig billiger kommen würde. Fazit: Atomstrom zu produzieren, sei eigentlich gegen die Marktwirtschaft und insofern unverständlich, sofern nicht ideologische Motive vorlägen…
Leider bleibt dies Ei des Columbus ein faules, solange „Ersatzkäufe“ mit hoher Wahrscheinlichkeit gerade solchen Strom – zum Beispiel aus Osteuropa – ins Land holen, den man hierzulande nicht mehr erzeugt sehen will: aus fossiler Verbrennung ohne Kraft-Wärme-Kopplung oder gar doch wieder aus Kernspaltung. Dass die deutschen Stromkonzerne sowieso unbeeindruckt blieben, war nicht verwunderlich. Man betreibe, hieß es, nur rentable Kraftwerke, und kalkuliere nicht mit veränderlichen Spotmarkt-Strompreisen.
Wer helfen will, den komplizierten Knoten „mehr Klimaschutz mit weniger Kernkraft“ zu lösen, sollte die losen Enden wohl erst mal innerhalb Westeuropas suchen, also das EU-Recht zu verbessern und zu harmonisieren trachten und die Spielräume ausloten, die für einen direkteren Marktzugang der „erneuerbaren Energien“ im eigenen Land schon bestehen. Die EU hat mit ihren Binnenmarktrichtlinien für Strom und Gas Rahmenbedingungen gesetzt, die den Energiemarkt tiefgreifend verändern; Ziele sind Liberalisierung und verstärkter Wettbewerb. Seit gut einem Jahr ist auch die deutsche Energierechtsreform in Kraft, die – noch von der alten Bundesregierung gegen den Mehrheitswillen des Bundesrates durchgesetzt – die EU-Vorgaben umsetzen sollte. Den Anteil der regenerativ oder zumindest „umweltfreundlich“ erzeugten Energie will sie über eine freiwillige Selbstverpflichtung der Energieversorgungsunternehmen steigern.
Interessanter erscheint der Versuch etlicher – teils eigens gegründeter – Vereine und Handelsgesellschaften, in Deutschland „Grünen Strom“ zu verkaufen. In der Tat könnte nach dem neuen Energiewirtschaftsgesetz schon jedes Unternehmen, aber auch jeder Privathaushalt seinen Stromlieferanten selbst auswählen; in der Praxis steht dem noch der Streit um die Kriterien für Durchleitungsentgelte entgegen, die zwischen den Energiewirtschaftsverbänden vereinbart worden sind. Mittelfristig wird „Grüner Strom“ aber in Konkurrenz zum konventionellen Mix treten, den die herkömmlichen Energieversorger anbieten; doch mit welchen Chancen?
Wem das gute ökologische Gewissen teuer genug ist, der oder die zahlt den (noch) unvermeidlich höheren Preis, den der Strom aus regenerativen Quellen kostet (über den Anteil hinaus, den aufgrund des Einspeisegesetzes ohnehin alle entrichten). Doch weder die Masse der Verbraucher noch gar der Unternehmen wird freiwillig den Windpark Wüppedemoor subventionieren (beziehungsweise den „alternativen Zwischenhandel“, denn der Windbauer bekommt ja so oder so die Abnahme und Einspeisevergütung garantiert). Zu lösen bleibt die Frage: Mit welchen technischen, politischen und gesetzgeberischen Mitteln kann den Regenerativen dazu verholfen werden, dass sie am Markt wirklich konkurrenzfähig werden und eine ernstzunehmende Rolle spielen (statt, wie vielfach befürchtet wird, im Zuge der europaweiten Deregulierung und beinharter Preiskämpfe wieder in ihrer Nische zu verschwinden)?
Das Europäische Parlament und der deutsche Bundesrat haben im Rahmen ihrer Möglichkeiten eine Reihe von Vorschlägen gemacht, bei denen es vor allem um eine europäische Stromrichtlinie und die Gewährleistung „fairer Netzzugänge“ geht. Namentlich der Bundesrat hat immer wieder darauf beharrt, dass niedrige Preise nicht das einzige Ziel einer zukunftsfähigen Energiepolitik sein können, doch vergeblich war bislang der Versuch, die Marktzugangschancen für erneuerbare und umweltschonend erzeugte Energie durch gesetzliche Vorrang- und Quotierungsregelungen für die Einspeisung wirksam ökologisch zu flankieren. Auch fehlt es der EU an einer Energiebesteuerung aus einem Guss.
In Deutschland werden bisher etwa fünf Prozent des Stroms regenerativ erzeugt. Klimaschutz, Innovation und Beschäftigung könnten deutlich mehr brauchen.
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